30. Mai. 2023

Kultur

In Mark Twains Stück tauschen Prinz und Bettelknabe die Kleider und lernen so die Lebensumstände und -kämpfe des jeweils anderen kennen. Für die freie Adaption des Märchens haben Christine Lang und Völker Lösch Mark Twains Stück als Strukturvorgabe verwendet und auf die gesellschaftliche Gegenwart übertragen. Schauplatz ist die im Herzen des Ruhrgebiets liegende Stadt Essen. Die Stadt wird durch die Autobahn A40 in Nord und Süd – und in Arm und Reich geteilt. Während in der südlichen Hälfte vornehmlich die wohlhabende Mittel- und Oberschicht lebt, wird der Essener Norden größtenteils von Menschen nahe am Existenzminimum bewohnt.


Armut betrifft besonders stark Kinder und Jugendliche. Laut einer Studie sind ein Drittel aller Kinder in Essen arm. Der „Sozialäquator A40“ wird im Zuschauerraum durch eine Mauer dargestellt. Räumlich getrennt und nur durch Bildschirme miteinander verbunden lernt jede Publikumshälfte zunächst die soziale Lebensrealität von Jugendlichen ihrer eigenen Äquatorseite kennen. Während die Zuschauer auf der Südseite in bequem gepolsterten Stühlen die Lebensweise der Jugendlichen zwischen teuren Urlauben, gymnasialer Schulbildung, Kniggekursen, Ballett-, Reit- und Schauspielunterricht kennenlernen, erleben die Zuschauer auf der Nordseite auf Sitzstufen gedrängelt die harschen Lebensumstände. Dort ist das Leben der Jugendlichen geprägt von Misserfolgen in der Ausbildung, Perspektivlosigkeit und Kriminalität. Alleinerziehende Elternteile, erfahrene Streetworker und Schulleiter können trotz großer Bemühungen nur wenigen Jugendlichen aus dem Teufelskreis helfen.

Trotz ihrer ganz unterschiedlichen Lebensverhältnisse träumen die Jugendlichen auf beiden Seiten vom Gefühl der Freiheit. Die einen von der Freiheit auch mal Fehler machen, Scheitern oder einfach mal über die Stränge schlagen zu dürfen und die anderen von der Freiheit sich einmal sorgenfrei zu fühlen und sich eines Tages in einer schönen Villa niederlassen zu können. Und so klettern eines Tages die Jugendlichen auf die Mauer und treten erstmalig in Dialog. Im Chor fragen sie sich „Sind nicht alle Menschen vor dem Gesetz gleich?“ Dann tauschen die reichen und armen Jugendlichen ihre Kleidung und schlüpfen in die Rolle des jeweils anderen. Doch kann ein solcher Rollentausch funktionieren? Gibt es Lösungen für soziale Gerechtigkeit? Wenn ja, wie könnten solche Ansätze in der Realität aussehen?

Die Problematik der Spaltung von Essen in Arm und Reich wird im Schauspiel auf hautnahe und bewegende Weise dargestellt. Dabei hinterfragen die Jugendlichen nicht nur kritisch festgefahrene gesellschaftliche Strukturen, sondern suchen auch hoffnungsvoll nach Lösungen. Die Texte stammen aus zahlreichen Interviews mit Jugendlichen und auch deren Eltern, Sozialarbeitern, Streetworkern, Schulleitern, Verkäufern sowie Unternehmern. Die realistischen Texte stehen dabei im Kontrast zu spielerischen Szenen über das Reichsein. Mit dem Ende des Theaterstücks wird nicht nur durch die Stimmen der Jugendlichen deutlich, dass die Diskussion um (Verteilungs-)Gerechtigkeit nicht zu Ende ist, sondern gerade erst begonnen hat. Karten für das Theaterstück gibt es telefonisch (0201/8122200), im Internet und an der Abendkasse. Die nächsten Aufführungen finden am 4., 19. und 26. Mai 2018 im Grillo-Theater in Essen statt. (SMC)