Können Westfalen eigentlich Karneval? Auf diese Frage liefert der Geierabend auf der Dortmunder Zeche Zollern auch in diesem Jahr eine klare Antwort. Sie können – und haben Spaß, wenn bei der Ruhrgebietsversion der Karnevalssitzung gescherzt, gestichelt und gesungen wird. Bis zum 13. Februar 2024 heißt es auf Zeche noch „Pott, Land, Fluss“. Für die letzten Aufführungen gibt es noch wenige Restkarten.
Eigentlich sind sie doch alle gleich. Die vielen Städte im Ruhrgebiet – oder wie der Geierabend es nennt, im Planet Pott. Deshalb hat man für die Kommunen gleich neue Ortsschilder gestaltet und damit den Veranstaltungsraum dekoriert. Bierbänke stehen an langen Tischen – und nur an den Rändern Reihen mit Stühlen mit Lehnen für alle, die sich bei der rund dreistündigen Sitzung mal anlehnen möchten. Die Stimmung ist auf den Bänken direkt vor der Bühne natürlich besser. Dort sitzen auch verkleidete Gäste. Dort werden fleißig Wertmarken gegen gekühlte Getränke getauscht und bei manchen Liedern wird auch geschunkelt und mitgesungen. Dazu spielt das vierköpfige Orchester Tinnitus, das seinen Namen aufgrund der Lautstärke nicht von ungefähr hat und für Stimmung sorgt.
Moderator des Abends ist „der Steiger“, der es sich – ausgestattet mit Schutzhelm mit Plüschgeier – und Bergmannskluft, in einer Lore gemütlich gemacht hat und von dort die Weltlage kommentiert und die Auftritte moderiert. Er ist auch zuständig für den orchestrierten Applaus – einen „Geier“ in drei Stufen mit auf den Tischen trommeln, mit den Füßen stampfen und die Arme hochreißen. Dafür gibt es während des Abends immer wieder Anlass.
Noch ist der Sitzungspräsident ein Mann mit markanter Struktur. Doch könnte ihn schon bald die künstliche Intelligenz ersetzen? Darüber frotzeln Präsident und Steiger gleich zu Beginn der Show selbstironisch. Die Themen sind vielfältig. Zwei reiche Hundebesitzerinnen streiten über den richtigen Umgang mit ihren Lieblingen und sagen beim Dialog über den Rassehund mit französischem Namen und den Flüchtlingshund Kalaschnikowa mehr über sich als über die Tiere. Muss man nicht wirklich erst mit einem Baby üben, bevor man Verantwortung für einen Hund übernimmt? Und ist es legitim, die Kinder wegzugeben, weil der Hund eine Allergie entwickelt hat? Die Autoren des Geierabends drücken mit ihren Gags auch da, wo es für manche weh tut.
Mit dabei sind auch aus den Vorjahren bekannte Charaktere wie die zwei Arbeiter im Blaumann, die es eigentlich viel besser wüssten, die aber immer wieder feststellen „Uns fragt ja keiner…“. Dass man in Dortmund ist, merkt man spätestens beim Sketch über die anstehenden Taylor Swift Konzerte in Gelsenkirchen. Auf der Bühne werden eine fiktive Bürgermeisterin und einer ihrer Mitarbeiter von einem klischeehaften Journalisten interviewt. Doch die Enthüllung der Taylor Swift-Ampel wird zum Debakel, möchte die Bürgermeisterin als bekennende Pur-Liebhaberin, dem Weltstar doch keinen roten Teppich ausrollen. Stattdessen greift sie selbst zum Mikrofon…
Was könnte Dortmund eigentlich mit 700.000.000 Euro aus dem Verkauf der Steag machen? Dafür hat der Geierabend einige Ideen. Bei mancher Nummer muss man mehr als einmal schlucken. Bei einem Auftritt erlebt das Publikum die Mitarbeiterin eines Straßenverkehrsamtes, die sich selbst als „das Gesicht zum Knöllchen“ vorstellt. Dass zwischendurch immer wieder ihre demente Mutter anruft, die gerade auf dem Weg nach Polen ist, ist stark überzeichnet, aber nicht nur lustig, sondern in anderer Form auch traurige Realität.
In diesem Jahr ist Waltrop die Partnerstadt des Geierabends. Ein Stimmungssänger intoniert „Ich bin so froh, dass ich aus Waltrop bin“ und greift dabei wie viele andere Auftritte zu einer bekannten Melodie, die für den Geierabend einen neuen Text bekommen hat. Das Publikum ist dabei, wenn im Kindergarten aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr bezahlte Entertainer aktiv werden. Und es erlebt auch die Abstimmung zum diesjährigen Pannekopp-Orden, für den man eine Naturschutzgruppe, die gegen einen Radweg ist, und einen ThyssenKrupp-Aufsichtsrat nominiert hat. Smarte Haushaltsgeräte im Wellnessurlaub, ein gefrustetes Maskottchen, das nicht für die Europameisterschaft ausgewählt wurde und kurz vor der Pause die Geschichte, wie die erste Kohle im Wittener Muttental entdeckt wurde, stehen ebenso auf dem Programm.
Ein weiterer humoristischer Höhepunkt erwartet das Publikum gleich nach der Pause. Eine Gruppe von Mitarbeitern von Lieferdiensten bleibt gemeinsam in einem Aufzug stecken. Und beginnt über den Sinn des Lebens zu philosophieren. Es hat sich im wahrsten Sinne des Wortes ausgeliefert. Ein Blick in die Kleingärten der Heckenfreunde Huckarde wird an diesem Abend ebenso geboten wie Einblicke in das Schicksal von Barbie und Ken, die in Wuffen Bar-bie-kenberg auf der Suche nach ihren Wurzeln sind. Und auch das singende Ordnungsamt Schwerte, das sich auf die Fahnen geschrieben hat cooler zu werden, hat die allgemeine Belustigungsbescheinigung verdient. Mit einem Ausflug zum fiktivem Bundesstand, an dem Deutschland am Mittelmeer Flüchtlinge begrüßt und einer Begegnung mit der mehrfach alleinerziehenden Mutter Jessica, die im Kölner Dom mit „ihren vier Blagen“ kämpfen muss, einem Wiedersehen mit Micky und dem BVB-Opa und einem Musical-Medley zur Tupperdose endet der Abend. Doch erst nach der Zugabe, bei der der Saal „Glück auf, der Steiger kommt“ singt und einer weiteren Überraschung. Karten für die restlichen Aufführungen gibt es online.
(SMC)