Bei einer Radtour durch den Oberpfälzer Wald kommt man leicht in den Geschwindigkeitsrausch. Während am Wegesrand Mais- und Kornfelder und weite Waldstücke vorbeirauschen, läuft der Tacho bergab auf Hochtouren. Schnell lässt man die 20, die 30 und auch die 40 km/h hinter sich und genießt die Leichtigkeit und die Geschwindigkeit. Doch nach der Fahrt ins Tal folgt der nächste Anstieg. Und der hat es in sich im Norden von Bayern. Die von lang erloschenen Vulkanen geformte Landschaft ist überraschend hügelig und deshalb auch für geübte Radler eine Herausforderung. Doch nicht nur die überall in der Region verteilten Gipfel haben diese geprägt – auch die Menschen, die über Jahrhunderte Teiche aufgestaut und Fische gezüchtet haben, haben ihre Spuren hinterlassen. Daran erinnern nicht nur die vielen Wasserflächen in der Kulturlandschaft, sondern auch kunstvoll gestaltete Karpfenskulpturen am Wegesrand.
Eine davon steht am Rand der Bundesstraße auf der Höhe von Waldeck. Die kleine Ortschaft liegt unterhalb einer verlassenen Burgruine. Diese wurde in den letzten Jahrzenten mit viel ehrenamtlichen Engagement aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Heute sind auf dem Burgberg nicht nur einige der wieder errichteten Mauern zu sehen, sondern auch eine Kapelle mit kleinem Glockenturm und der wieder begehbare Bergfried. Die Glocken wurden auf einer Wiese der Hollerhöfe eigens für die Kapelle gegossen. Weitere Exemplare der Glocken hängen auf der Wiese, wo sie einst gegossen wurden.
Infotafeln erklären die Geschichte der Burg – und der Menschen in der Ortschaft Waldeck. Zu denen gehört seit sieben Generationen die Familie Zintl. Schon die Vorfahren von Elisabeth Zintl betrieben in der Ortschaft eine Gastwirtschaft – und so ist es bis heute. Gemeinsam mit ihrem Mann Leonhard hat Elisabeth Zintl im beschaulichen Waldeck die Hollerhöfe aufgebaut. Holler, bayrisch für Holunder, ist eine der Pflanzen, die in und um Waldeck wachsen – und sich hervorragend in der regionalen Küche einsetzen lassen. So auch bei den Zintls. Die Ernte der eigenen Holunder-Kultur gibt es bei ihnen als Holler-Secco, Holler-Gin, Holler-Balsamico und natürlich auch als Marmelade. Die hauseigenen Holunder-Produkte werden in der Hollermanufaktur hergestellt. Eine weitere Besonderheit der Hollerhöfe ist, dass einige der Hotelzimmer in Dorfhäusern liegen, die sich perfekt in die gewachsene Dorfstruktur integrieren. Ein Haus steht zum Verkauf in der L-förmigen Straße? Schnell ist Elisabeth Zintl zur Stelle und integriert es in die Hollerhöfe. Modern ausgebaut – mit Blick für´s Detail und den geschichtlichen Hintergrund sind so unter anderem Kanzlei, Schreiberhaus und Schusterhaus Teil der Hollerhöfe geworden. Wer auf den Hollerhöfen zu Gast ist, kann die Seele baumeln lassen, die Region zu Fuß oder mit dem Rad erkunden und sich kulinarisch verwöhnen lassen.
Früher und heute verbinden sich in Waldeck bei Kemnath. Dafür sorgt in erster Linie das Engagement der Einwohner, die nicht nur den Burgberg wieder zum Leben erweckt haben, sondern auch Deutschlands ersten Essbare Wildpflanzenpark (EWilPa) nach Waldeck holten. Rund um den Burgberg sind auf 13 Flächen in der Natur essbare Pflanzen zu entdecken. Wer mag, darf einfach zugreifen, sammeln und genießen. Das gelingt mit Vorkenntnissen alleine – oder bei einer Kräuterführung. Im Wandel der Jahreszeiten zeigt der „EWilPa“ immer neue Seiten. Während die Temperaturen in Waldeck sich den 30 Grad nähern, blüht im Juni für einige Tage der Holunder. Er fällt durch den Schirm aus hellen Einzelblüten ins Auge und durch den leichten und frischen Duft, der ihn auch für die Küche so interessant macht. Wer selbst zugreifen möchte, sammelt am späten Vormittag. Wer lieber unterwegs ist, überlässt das den Köchen der Hollerhöfe und verbringt den Tag bei einer Entdeckungstour.
Mit dem eigenen Auto – oder bei guter Kondition mit dem Fahrrad – kann man in der Gegend eine Menge entdecken. Auf dem Kapellenradweg kommt man von Köglitz in der Nähe von Waldeck bis zur Himmelsleiter bei Tirschenreuth. Dort wurde eine riesige Teichlandschaft renaturiert und bietet einen Lebensraum für Fische, Vögel und seltene Pflanzen. Die Himmelsleiter ist eine eindrucksvolle Treppenkonstruktion in der Natur – mit einer schattigen Bank auf der höchsten Stufe. Auf dem Rückweg kann man noch Pause in Thumsenreuth machen – und eine Runde im Erlenweiher schwimmen gehen. Der gepflegte Badesee ist bei Gästen und Einheimischen gefragt – aber keinesfalls überlaufen. Und auch in Waldeck harmonieren Touristen und Einheimische. Wer mag kann am Abend gemeinsam mit ihnen am Brunnen sitzen – oder bei einer Wanderung rund um den Burgberg ins Gespräch kommen. Wie vielfältig das Leben im kleinen Waldeck ist, zeigt sich bei den kulturellen Höhepunkten des Jahres. Bei der Fronleichnamsprozession, zu der auch Gäste eingeladen sind, ist das halbe Dorf auf den Beinen und zieht mit Musik und Gesang zu im Ort aufgebauten Altären. Heimatverein, freiwillige Feuerwehr und viele andere aktive sind gemeinsam unterwegs und zeigen, dass die Gemeinschaft der Menschen und ihre Heimatverbundenheit hier bis heute besonders stark ist. Auch das macht die beschauliche Region im Norden von Bayern zu einem interessanten Reiseziel.
(SMC)